Wie hat sich die Totalität in meinem Leben ausgewirkt?


Über die wenigen Erinnerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus habe ich bereits berichtet. Aber die eine Totalität wurde in Iglau bald mit einer anderen ersetzt.

Schon 1945 hat sie sich angekündigt. Statt Rechtsstaat hat man eine Mischung von dem ehemaligen Staat CSR- Tschechoslowakischen Republik und der importierten, durch russischen Kommunismus geprägten Machtschicht. Ein typisches Zeichen der neuen Macht war die Korruption und Missachtung aller Gesetze.

Ich erinnere mich an die UNRRA- Aktion. Die USA haben nach dem Krieg die militärischen Konservenvorräte und von US- Bevölkerung gesammelte Care- Pakete nach Europa geschickt. Die Aktion hat groteske Züge genommen. Alle Fleischkonserven sind in den Parteibüros verschwunden, zu uns, Kindern, ist nur Kondensmilch und „Rice and Vegetable“ angekommen. Mein Onkel mit Beziehungen hat uns aber auch einige Male „Corned Beef“ mitgebracht, das gab sonst nur für ausgewählte Funktionäre.

Den Höhepunkt hat diese Entwicklung im Februar 1948 erreicht, als die Macht von den Kommunisten alleine übernommen wurde. Danach haben alle Wahlen mit > 90% für diese Partei geendet.

Kurz nach dem Kriegsende bin ich Mitglied in Katholischen Pfadfinderverein geworden - die tschechischen Pimpfe hat man „Vlcata“ genannt, also Jungwolfe. Wir haben es gelernt, sich in der Natur zu orientieren, Feuer mit mit einem Streichholz zu machen, Knoten zu binden, die Morse-Signale haben wir mit einem Summer trainiert und mit einer Taschenlampe Signale gegeben.

Das hat man nach 1948 als Verwestlichung verboten.

Ich habe ein Paar Freunde in der Klasse gehabt, mit denen ich mich bei uns auf dem Dachboden getroffen habe und vor allem mit dem Morsealphabet weiter machte. Dazu haben wir Pfandflaschen gesammelt und abgegeben, mit dem Geld haben wir uns die Morsesummer gekauft.

Irgendwie war das in der Schule bekannt, die Lehrer haben uns auf feindliche Aktivitäten gegen den Sozialismus verhört. Wir waren aber noch keine 12 Jahre alt, keine Erwachsene konnte man finden, also die Sache ist im Sande verlaufen.

Das war aber eine deutliche Warnung, mit dem System durfte man nicht beliebig was aus eigener Initiative machen, alles musste in staatlich gesteuerten und streng überwachten Bahnen laufen.

Als Sohn von einer selbständiger Schneidermeisterin bin ich in die schlechte Bürgerklasse eingeordnet worden. Mitglieder der feindlichen Klasse haben keinen Zutritt zur Bildung gehabt.

Nur mit Hilfe und Rat meines Physiklehrers Petrowicky ist mir gelungen, mit 15 Jahren nach Prag zu gehen und dort in der Masse untertauchen.

Meine jüngere Schwester Blanka hat die Rache der Genossen voll erlebt, sie wollte in eine Lehre in der Fabrik Modeta, an den Strickmaschinen. Schon nach kurzer Zeit hat eine Genossin erkannt, das sie Tochter von der letzten „Kapitalistin“ vor Ort ist und wurde von der Lehre ausgeschlossen.

In Prag gab es 1953 keine Unterkunftsmöglichkeit für mich. Mein Lehrer hat für mich eine Stelle im Internat der Lehrlinge der Firma Philips, damals schon in „Tesla“ umbenannt, in Ricany- Radosovice gefunden. Die Höhere Industrieschule für Elektrotechnik war im Prag, in Jecna str. 30.

Damit ich um 8 Uhr in der Bank sitze, musste ich schon um 6 Uhr aufstehen, ca. 3 km zu Fuss zum Bahnhof laufen.

Aber im Internat habe ich viele gute Freunde gefunden, am Abend haben wir eine Radiostation betrieben, OK 1 KDM. Dieses K im KDM bedeutet „kollektiv“ und war streng reglementiert. Jede Verbindung musste ganz genau im Tagebuch eingetragen werden, es gab Stichkontrollen und eine Überwachung, von dem ich keine Vorstellung hatte.

Trotzdem, diese Anreise zur Schule, die Intensität der Lehre, das war für mich, mit 15 Jahren so weit (172 km) von der Mama echt eine Belastung. Ich wollte schon aufgeben, lieber vor Ort in Iglau in die Lehre gehen, aber ich habe gemerkt, dass es meiner Mutter sehr Leid tun würde.

Also, habe ich die Zähne zusammengebissen, die guten Schulnoten für ein Stipendium erzielt und mindestens finanziell meine Mutter entlastet.

Im nächsten Jahr war es schon leichter, mir ist es gelungen, einen Platz im Internat im Prag- Karlin zu bekommen. Hier wurde ich im großen Saal, es war ehemalige Schule, zusammen mit 21 anderen Schülern untergebracht. Hier hat sich meine Schwerhörigkeit als Vorteil erwiesen, die akustischen Störungen habe ich so nur entfernt mitbekommen. Der Schulmeister war ein Radiofan, also fand ich schnell den Anschluss und wir bastelten in der Freizeit. Auch die Erzieher haben zu mir bald eine Menge Vertrauen bekommen, ich dürfte am Abend in dem Dienstzimmer meine Aufgaben schreiben und aufpassen, falls etwas vorkommt, sollte ich eine Nummer wählen und melden. De Facto bin ich damit auch einer von den Erziehern ohne Gehalt geworden.

Die Politik ist aber auch in die Schule gekommen, nicht nur die Elektrotechnik. Die Lehrer waren so kurz nach dem Krieg oft noch ehemalige Studenten der Prager Technik, die im KZ Sachsenhausen interniert waren, 1939 bis 1945. Einige waren auch körperlich versehrt, wie unserer Klassenlehrer Bittner.

Wir hatten auch Körperübungen mit prof. Svoboda, auch ehemaligen Häftling und mit ihm gab es für die Totalität typische Affäre. 1956 haben wir beobachtet, dass man aus naher Bibliothek viele Bücher ausrangiert und in Altpapier führt. Es waren Werke den Kommunisten nicht genehmen Autoren- mir ist z.B. der Historiker Josef Pekar aufgefallen. Also gab es darüber unter uns eine Diskussion, aber jemand hat zu Hause auch darüber gesprochen, es kam eine Meldung auf die Geheimpolizei StB.

In die Schule kamen Herren in Ledermantel und Schlapphut, genau nach dem historischen Vorbild und haben einzelne Studenten verhört. Ich könnte auf meine Schwerhörigkeit hinweisen, also hat man mich in Ruhe gelassen. Aber den Svoboda und einige Studenten hat man von der Schule verwiesen.

Endlich habe ich 1957 meine Matura (in Deutschland heißt es Abitur) mit Gesamtnote 1.0 abgelegt. Alle vier Abiturbereiche habe ich mit der Note 1 abgeschlossen, ich habe mich auch zum ersten mal im Leben wirklich 4 Wochen gründlich vorbereitet.

Ich habe als Ergebnis des Studiums einen Diplom bekommen, mit Berechtigung zum Hochschulstudium.

Im Anschluss hat man damals auch von einer Kommission die Arbeitsplätze zugewiesen – eine eigene Wahl war nicht zulässig. Zum Glück wurde ich einem Institut der CSAV, also Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften zugewiesen.

Es war das Institut der Technischen Physik, früher Physikalisches Institut der Skoda Werke. Unsere Labor wurde in einer RAD- Baracke auf dem Gelände ehemaliger Askania- Werke aufgebaut, im Krieg hat man dort die Flugzeuginstrumente hergestellt.

Über die Arbeit in den Instituten wird an anderen Stelle berichtet.